Fairtrade-Produkte in den Supermarktregalen in Ländern des globalen Südens

Fairtrade-Produzent*innen übernehmen eine Vorreiterrolle, um nachhaltige Produkte auf ihren eigenen lokalen Märkten einzuführen. So verändert sich der Verkauf von fairen und nachhaltigen Produkten in den Ländern des globalen Südens.

Ein junger Mann und eine junge Frau tragen weiße T-Shirts mit Fairtrade-Slogan und halten Fairtrade-Siegel in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Messestand mit Fairtrade-Branding zu sehen.

Fairtrade-Kaffeekooperativen nehmen an der Messe SIC (Semana Internacional do Café) in Brasilien teil. Foto: CLAC

Vor fünf bis zehn Jahren hätte man in einem Supermarkt in Mumbai kaum eine Handvoll Fairtrade-Produkte in den Regalen gefunden. Dasselbe wäre in Nairobi oder in Lima der Fall gewesen.
Und das, obwohl in den Ländern, in denen sich diese Städte befinden, Hunderttausende von Fairtrade-Bäuer*innen und -Arbeiter*innen leben.

Die Nachfrage nach Fairtrade-Produkten in den Ländern, in denen die Produkte angebaut werden, hat sich in der Vergangenheit langsamer entwickelt als beispielsweise in Ländern Europas, die vor mehr als 30 Jahren mit dem Import von Fairtrade-Produkten begonnen haben. Das ändert sich zunehmend: Mit einer wachsenden Mittelschicht in vielen ehemals einkommensschwächeren Ländern sucht eine neue, auf Nachhaltigkeit bedachte Generation nach verantwortungsvoll produzierten Waren als Teil ihres täglichen Einkaufs. Um die Entwicklung voranzutreiben erweitern Fairtrade-Kooperativen ihre Geschäftsmodelle und nutzen das Interesse der Konsument*innen in ihren eigenen Ländern und Regionen effektiv. 

Die folgenden Beispiele zeigen anschaulich, wie Fairtrade-Produzent*innen neue Wege gehen, um Fairtrade-Produkte auf ihren eigenen lokalen Märkten anzubieten. 

Von der Landwirtschaft zum Markenaufbau

Viele Kooperativen haben in Equipment investiert und Know-how aufgebaut, um die Ernte ihrer Mitglieder selbst zu verarbeiten oder sogar einen Schritt weiter zu gehen und ihre eigenen Produkte selbst zu verpacken und zu vermarkten. Mehr Wertschöpfung, also "mehr Wert schöpfen", bringt Kooperativen ein höheres Einkommen - und damit den Bäuer*innen einen grösseren Nutzen - als der einfache Verkauf ihrer Ernte in Rohform.

Ein Beispiel ist COAGRICSAL, eine Kaffeekooperative in Honduras, die einen Teil der Fairtrade-Prämie nutzte, um auch in den Kakaoanbau einzusteigen. Sie baute eine eigene Fabrik, die von Frauen aus der Gemeinschaft betrieben wird, und vertreibt Schokolade unter dem Markennamen Xol

Auf dem afrikanischen Kontinent unterstützt das Produzentennetzwerk Fairtrade Africa verschiedene Erzeugerorganisationen bei der Aufwertung ihrer Produkte. So hat Fairtrade Africa Kooperativen in Kenia, Ghana, Côte d'Ivoire und Eswatini in Kaffeeröstung, Teemischung, Sheabutter- und Schokoladenherstellung, , der Weiterverarbeitung von Chili und Honig geschult. Die Schulungen umfassten die Themen wie Unternehmensführung, Finanzmodellierung, Marktplanung und Management der Unternehmensleistung. Bis Anfang 2024 wurden fünf Teemarken, drei Schokoladenmarken und drei Kaffeemarken auf Märkten wie Kenia, Côte d'Ivoire und Ägypten eingeführt, und weitere sollen folgen.

Produkte in die Regale bringen: Aufbau von Beziehungen auf nationaler und regionaler Ebene

Die Sensibilisierung für Fairtrade erweist sich auf den sich entwickelnden Märkten als schwieriger als auf den etablierten Märkten, auf denen Nachhaltigkeitssiegel über die Zeit immer mehr Bekanntheit und Vertrauen entwickelt haben. 

Im asiatischen Raum hat Fairtrade India, die für den Handel mit fairen Produkten in dem Land zuständige Organisation, in den letzten fünf Jahren daran gearbeitet, das Bewusstsein der indischen Konsument*innen für Fairtrade und nachhaltigen Konsum deutlich zu steigern und mehr lokale Marken zu ermutigen, Fairtrade-zertifizierte Produkte anzubieten. Mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union begannen diese Bemühungen im Jahr 2018 mit Produkten aus den Bereichen Lebensmittel und Mode und wurden unter dem Namen „Switch Asia“ mit Schwerpunkt auf dem Textilsektor fortgesetzt. 

Die Entwicklung auf dem indischen Markt ist - trotz Herausforderungen wie der Pandemie und Hyperinflation – vielversprechend: So hat sich beispielsweise die ACCOR-Hotelgruppe in Indien dafür entschieden, nachhaltige, Fairtrade-zertifizierte Badezusätze von einem lokalen Hersteller zu beziehen und dabei auf lokale Zutaten und innovative Verpackungen zu setzten, um Plastikmüll zu minimieren. Zu den weiteren Erfolgen zählen Totle, eine Kinderbekleidungsmarke, und Salman Khans Marke Being Human, die eine komplette Fairtrade-Modekollektion mit T-Shirts, Hemden und Hosen eingeführt hat. 2023 startete L'Oréal die Zusammenarbeit mit Fairtrade India, was zur Einführung von Fairtrade-Handtüchern für das Corporate Merchandising in ganz Indien führte - eine bahnbrechende Initiative für das Unternehmen in Asien.

Im Rahmen einer weiteren Partnerschaft in Sri Lanka mit dem italienischen Außenministerium arbeitet eine Gruppe von Produzentenorganisationen für Gewürze, Kokosnüsse und Früchte mit dem Produzentennetzwerk aus Asien Fairtrade NAPP zusammen, um Geschäftsbeziehungen zu großen Supermärkten und Unternehmen vor Ort aufzubauen, mit dem Ziel, Fairtrade-Zutaten in ihre Produkte zu integrieren. Vier srilankische Unternehmen verkaufen inzwischen Produkte mit dem Fairtrade-Siegel, darunter die Marken Bee Natural, MAP und World of Organic. Auch die Supermarktkette Spar und touristische Einrichtungen im Süden Sri Lankas führen inzwischen faire Produkte. Eine begleitende Marketingkampagne mit digitalen Anzeigen, in sozialen Medien, lokalen Rundfunksendungen und Außenwerbung wie Schildern und Plakaten informierte die lokale Bevölkerung über diese lokal erzeugten Fairtrade-Produkte.

Eintreten für eine nachhaltige Politik 

Fairtrade setzt sich politisch dafür ein, einerseits Regelungen und Vorschriften in den klassischen Konsumentenländern zugunsten von mehr fairem Handel zu beeinflussen Gleichzeitig engagieren sich die Produzentennetzwerke und Fairtrade-Produzent*innen vor Ort für eine Politik, die nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum in den eigenen Ländern fördert.

Die drei Fairtrade-Produzentennetzwerke in Lateinamerika, Afrika und Asien verfügen über solide Strategien für ihre Advocacy Arbeit , die darauf abzielen, Verbindungen zu politischen Entscheidungsträger*innen in ihren Regionen aufzubauen und Unterstützung für politische Maßnahmen zu gewinnen, die eine nachhaltige Landwirtschaft fördern und Fairtrade-Bäuer*innen  und -Arbeiter*innen zugutekommen. 

Bewusstsein und Nachfrage von Konsument:innen

Damit Fairtrade zu einem Teil der alltäglichen Nachhaltigkeitsentscheidungen der Menschen wird, müssen sowohl die Produkte in den Regalen verfügbar sein als auch die Verbraucher*innen für die Vorteile von Fairtrade sensibilisiert werden. So kann ein positiver Kreislauf entstehen, da die Geschäfte ihren Bestand an nachhaltigen Produkten erhöhen, wenn sie von Kund*innen nachgefragt werden.

In den letzten Jahren haben die Menschen in aufstrebenden Wirtschaftsräumen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ein größeres Bewusstsein für Fragen der Nachhaltigkeit entwickelt - oft sogar ein größeres oder besorgteres als die Menschen in wohlhabenden Industrieländern des globalen Nordens. Eine Umfrage von Bain & Company 2023 unter mehr als 23.000 Verbraucher*innen in 11 Ländern ergab, dass ein höherer Anteil der Befragten in schnell wachsenden Märkten wie Indonesien, Brasilien und Indien über ein hohes Maß an Besorgnis über ökologische Nachhaltigkeit (78 bis 85 Prozent) im Vergleich zu Befragten aus europäischen und nordamerikanischen Ländern (53 bis 72 Prozent) berichtete. 

Dennoch sind verfügbares Angebot sowie Bewusstsein für nachhaltige und fair gehandelte Produkte in Ländern des globalen Südens jedoch oft geringer: In Kenia ergab eine Verbraucherstudie von Fairtade Africa aus dem Jahr 2021, dass 42 Prozent der Befragten angaben, nachhaltige oder ethische Produkte zu kennen. Von denjenigen, die solche Produkte kannten, gaben 30 Prozent an, dass sie sie schon einmal gekauft hätten. Im Gegensatz dazu konnten sich in einer von GlobeScan im Auftrag von Fairtrade Anfang 2023 durchgeführten Studie in 12 überwiegend europäischen und nordamerikanischen Märkten mehr als 80 Prozent der Befragten an ein ethisches Label erinnern, gegenüber 75 Prozent im Jahr 2019. Von denjenigen, die das Fairtrade-Siegel speziell kannten, gaben 87 Prozent an, dass sie mindestens einmal pro Halbjahr ein Fairtrade-Produkt kaufen.

Die Zukunft nachhaltigen Konsums 

Von der Entwicklung ihrer eigenen Marken über den Aufbau von Kompetenzen in Bereichen wie Business Development und Marketing bis hin zur Förderung kommender Generationen als nachhaltiger Käufer*innen schaffen Fairtrade--Produzentenorganisationen Mehrwert und steigern ihre Einnahmequellen. 

Während die Fairtrade-Produzentenorganisationen Maßnahmen ergreifen, um sich den fortschreitenden Nachhaltigkeitsanforderungen internationaler Handelspartner und Regierungen gerecht zu werden, sind sie auch in der Lage, die Messlatte im ihren eigenen Ländern höher zu legen, da sie ihre Produkte und ihr Know-how auch vor Ort anbieten. 

Das Wachstumspotenzial für nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum in den Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas ist vielversprechend - und Fairtrade-Produzent:innen sind Vorreiter. 

 

Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag Cultivating opportunities for fair and sustainable products close to home - (fairtrade.net)